Die Kettenwirk-Praxis feiert ihr 50-jähriges Bestehen
50 Jahre, zwei Redakteure
Die erste reguläre Ausgabe der Kettenwirk-Praxis erschien Anfang 1968. Die Textilfachzeitschrift wurde – damals wie heute – von der KARL MAYER Textilmaschinenfabrik GmbH herausgegeben; Verlag, Druck und Vertrieb lagen in den Händen der firmeneigenen Werkgemeinschaft KARL MAYER e. V. Redakteur der ersten Stunde war Rolf Hufschläger.
Der Diplom-Ingenieur für Textiltechnik, Rolf Hufschläge, trat mit klaren Zielen und einem durchdachten Konzept an. „Die Lehr- und Informationsschriftenreihe Kettenwirk-Praxis bietet allen in der Kettenwirkindustrie Beschäftigten – angefangen beim Neuling über den Facharbeiter bis hin zum Ingenieur – die Möglichkeit, sich ein Fachwissen anzueignen bzw. das vorhandene Wissen zu ergänzen oder zu vertiefen“ war im Vorwort der ersten Ausgabe zu lesen. Für Know-how sollten heraustrennbare Seiten und eine inhaltliche Unterteilung in Rubriken sorgen. Mit diesem System konnte sich jeder Leser sein eigenes Nachschlagewerk zusammenstellen. Der Ordner für die Werkstatt enthielt beispielsweise die Rubriken „Tipps“, „Kniffe“, „Zubehör/Wartung“, „Pflege/Maschinenkunde“ und „Maschinenvorstellung“, während der Ordner für den Selbstunterricht Themen wie „Bindungslehre/Fachrechnen“ oder „Garnlehre“ behandelte.
Diese Gliederung bestand bis Ende 2001, als Rolf Hufschläger in Pension ging und Ulrike Schlenker die Redaktion übernahm. Anstelle der Ordnerstruktur führte die Textil-Ingenieurin eine marktorientierte Untergliederung in „Fashion“, „Technical Textils“, „Home Textiles“ und „Warp Preparation“ ein. Auslöser für die Veränderung war zum einen die technische Entwicklung. „Die Wirkmaschinen und Kettvorbereitungsanlagen wurden zunehmend leistungsfähiger, aber auch komplexer. Eigene Eingriffe waren damit immer weniger ratsam, ähnlich wie beim Auto“, so Ulrike Schlenker. Zum anderen hatten sich die Märkte verändert. Die Nachfrage war zunehmend gedeckt und die Textilhersteller suchten nach weiteren Absatzmöglichkeiten und Nischen. Statt Tipps und Kniffen zum Tagesgeschäft waren Anregungen und Ideen für neue Produkte und Anwendungen gefragt. Ein weiterer Grund für den Strukturwandel des Magazins war die gestiegene Mobilität durch die Globalisierung. Wer mehr zu neuen Maschinen wissen wollte, reiste auf die Messen rund um die Welt.
Neben den Veränderungen der Kettenwirk-Praxis behielt Ulrike Schlenker Bewährtes bei. So gibt es heute noch den Muster-Part mit realen Textilproben und mehrsprachige Ausgaben. Die erste englische Übersetzung erschien bereits 1970. Sie betraf vorerst nur ausgewählte Texte und wurde in Beilagen zusammengefasst. Seit 2002 werden layoutgleiche separate Versionen gedruckt, jeweils in Englisch und Chinesisch. Die Auflage der chinesischen Ausgabe ist im Laufe der Jahre deutlich gestiegen. Insbesondere die deutsche Ausgabe wird dagegen weniger nachgefragt. Dies spiegelt die Verschiebung der textilen Märkte wider.
Außerdem vertraut Ulrike Schlenker auch heute noch den Ratschlägen von Rolf Hufschläger. Einmal im Quartal, nach dem Erscheinen der jeweils neusten Ausgabe, trifft sie sich mit ihrem Vorgänger zur „Manöverkritik“. „Das Wichtigste, was mir Rolf Hufschläger mit auf den Weg gab, war der Ausspruch ‚Fertig damit‘: Ist der Artikel perfekt, muss man aufhören, weiter daran herumzufeilen“, erinnert sich Ulrike Schlenker an ihre Anfänge.
Zum 50-jährigen Jubiläum der Kettenwirk-Praxis trafen sich Ulrike Schlenker und Rolf Hufschläger zum Interview in eigener Sache:
US: Es ist ungewöhnlich, dass ein Maschinenhersteller eine Fachzeitschrift herausgibt. Wie kam es dazu?
RH: In den 1960er-Jahren kannte die Fachwelt zum Thema Masche nur die Strickerei. Die Wirkerei war deutlich unterrepräsentiert. Firmengründer Karl Mayer wollte dies ändern und kam mit dem Plan zu mir, ein Faltblatt zu produzieren. Mir war das Potenzial der Wirkerei für die Textilwelt sofort klar. Anstelle des Flyers schlug ich ihm eine Fachzeitschrift vor. Das Konzept hatte ich mir schon überlegt. Nach den ersten Ausgaben kam die Lawine ins Rollen. Ich konnte immer mehr Leser gewinnen, beispielsweise mit Lesepulten auf den großen Textilmaschinenmessen, und baute das Anzeigengeschäft auf.
US: Eine große Leistung, die einiges voraussetzt. Wie muss der Redakteur einer solchen speziellen Zeitung gestrickt sein?
RH: Als Redakteur eines Fachblatts, das von einem Privatunternehmen herausgegeben wird, legte ich von Anfang an großen Wert auf Unabhängigkeit. Im Laufe der Zeit hatte ich mir den Ruf erarbeitet, ein neutraler Fachmann zu sein. Zudem waren Wachsamkeit, technisches Gespür und Leidenschaft wichtig. Es gab kein Schema F. Ich musste aus dem schmalen Bereich Wirkerei herauskitzeln, was interessant war, beispielsweise auf Kongressen, Messen oder bei Interviews nach interessanten Themen suchen und dann sofort zugreifen und hartnäckig dranbleiben. Dabei habe ich alles alleine gemacht, das verschaffte mir einen großen Überblick und war sehr spannend. Es kam immer etwas Neues und ich war als Redakteur daran beteiligt.
US: Was waren dabei Ihre größten redaktionellen Erfolge?
RH: Die beste Resonanz, aber auch die meiste Arbeit hatte ich mit meinen Kompendien. In den Übersichtsbeiträgen stellte ich mehrere Artikel zu einem Thema zusammen, beispielsweise zu Spitze oder Denim. In einem der Kompendien beschrieb ich alle Fasern, die sich auf Wirkmaschinen verarbeiten lassen – eine Riesenarbeit, aber auch eine „tolle Geschichte“, wie mir Hans Joachim Koslowski bescheinigte. Der damalige Leiter der Chemiefaser- und Textilfachzeitschriften des Deutschen Fachverlags in Frankfurt am Main hatte mich mit seinen Informationen unterstützt.
US: Ende 2001 haben Sie den Staffelstab an mich übergeben. Welche Überlegungen waren mit dem Redaktionswechsel verbunden? Was sollte verändert werden?
RH: Im Vorfeld haben wir darüber diskutiert, ob wir die Druckausgabe einstellen und die Artikel im Internet veröffentlichen sollen. Das World Wide Web war gerade schwer im Kommen. Karl Mayer hatte sich bereits in den 1990er-Jahren mit dieser Frage beschäftigt und eine klare Antwort: „Die Leute müssen etwas in der Hand haben.“ Darauf hatten wir uns besonnen. Zudem sprach der Musterteil mit den Originalstoffen für das Heftformat. Heute sieht das anders aus. Ich bin gespannt, wie es mit der Kettenwirk-Praxis weitergeht.
US: Wir werden sicher künftig auch die Vorteile der Digitalisierung für das Fachblatt nutzen, an Bewährtem werden wir allerdings festhalten. Herr Hufschläger, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Zurück zur Übersicht